Im Business, im Alltag, im Spitzensport kann es zu (Ausnahme-) Situationen kommen, die unvorhergesehen eintreffen und sofortiges Handeln, im besten Fall Spitzenleistung, erfordern. In der Regel steht dabei ein schnell zusammengestelltes Team in der Verantwortung, das zu einem gewissen Maße unvorbereitet ´on point´ Höchstleistung erbringen muss.
Eine derartige Ausnahmesituation ist für die deutsche Handball-Nationalmannschaft kurz vor dem wichtigen EM-Spiel gegen Polen entstanden. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hatte sie +/-24 Stunden vor dem Spiel aufgrund von COVID-19 Infektionsfällen plötzlich neun Ausfälle zu beklagen. Fünf neue Spieler wurden nachnominiert und auf schnellstem Weg ins Teamhotel geflogen/gefahren. Nur ein paar Stunden später musste also eine neu zusammengestellte Mannschaft gegen Polen auflaufen und auf höchstem Niveau performen.
Worauf kommt es in Ausnahmesituationen an? Welche Stellschrauben können Führungskräfte noch justieren? Was kann jeder Einzelne im Team tun, um trotz allem bereit zu sein, wenn es darauf ankommt?
Zusammengefasst kommt es in Ausnahmesituationen vor allem darauf an:
- Füreinander zu fördern und darauf zu fokussieren, wofür man in den Ring steigt
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Verantwortungsübernahme zuzulassen und zu unterstützen
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Bewährtes, Routinen und einfache Abläufe als Grundlage zu nutzen
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Erfahrene Persönlichkeiten für die Balance als Stabilisatoren einzusetzen
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Über Fokus auf das Wesentliche Freude im Performen entstehen zu lassen
Nach dem Spiel wurde Kapitän Johannes Golla von ZDF Sportmoderator Dr. Yorck Polus gefragt, ob er oder das Team nicht auch die Sinnhaftigkeit des Spiels bzw. ganzen Turniers hinterfragt. Seine Antwort war, dass dies in keinster Weise der Fall ist. Ganz im Gegenteil hat die entstandene Situation (für Johannes Golla) dazu geführt, dass ein noch stärkeres Wir-Gefühl entstanden ist und dass das DHB-Team nun zusätzlich motiviert ist, für die erkrankten Spieler spielen zu wollen.
Dieses Wir-Gefühl, dieses Füreinander-einstehen-zu-wollen ist ein positiver Effekt, der in Krisensituation entstehen kann, den Leader und Führungskräfte fördern/unterstützen müssen, um das (neu entstandene) Team zusammenzuschweißen. Damit verbunden ist auch ein wachsendes Verantwortungsgefühl füreinander bzw. die Bereitschaft (gemeinsam und jeder für sich), mehr Verantwortung übernehmen zu wollen.
Diese Verantwortungsübernahme hat kürzlich Prof. Dr. Wolfgang Jenewein (Competence Center for Sport Management / Universität St. Gallen) in unserer gemeinsamen Entrepreneurship for Athletes Web Class als „Extreme Ownership“ näher beleuchtet. Dabei ist klar, „dass wir die bewegende Kraft sind! Einzelpersonen und Unternehmer:innen müssen ´Ownership´ übernehmen, was bedeutet, dass es keine Schuldzuweisungen, keine Beschwerden, keine Ausreden – nur ´Extreme Ownership´ gibt.“ Genau dies hat das Team des DHB auf den Platz gebracht.
Alfred Gíslason während des Handball EM Spiels Deutschland vs. Polen
Nach dem Spiel, nach dem (aufgrund der herausfordernden besonderen Situation nicht unbedingt zu erwartenden) Erfolg gegen die polnische Mannschaft hat Alfred Gíslason als einen wichtigen Faktor für das gute Spiel der deutschen Mannschaft darauf verwiesen, wie herausragend die Abwehrleistung gerade am Anfang des Spiels als Basis für die Gesamtleistung war. Routinierte Spieler, wie Johannes Bitter, wurden jüngeren Spielern an die Seite gestellt, um ein Mannschaftskonstrukt zu schaffen, das dann – durch bekannte Abläufe und Prozesse – beim Performen zu einem immer stabiler werdenden Gebilde wachsen kann.
Dies ist ein weiterer wichtiger Aspekt, um in unerwarteten Situationen Spitzenleistung zu schaffen: Um Sicherheit zu gewinnen, sozusagen als Basis für alles Weitere, ist es essentiell, sich auf Grundlagen, Routinen und bekannte Abläufe zu besinnen, die aufgrund vielmaliger Wiederholungen sicher und stets abrufbar verinnerlicht sind. Wenn es gelingt, diese Sicherheit in einem Team zu erzeugen, können peu à peu größere Risiken eingegangen werden, um stetig Details zu Abläufen und Prozessen hinzuzufügen und die Leistung nicht nur zu stabilisieren, sondern womöglich sogar noch steigern zu können.
Um diese Sicherheit gewinnen zu können, hilft es, erfahrene Spieler:innen/Team-Mitglieder:innen auf dem Platz bzw. in Verantwortung zu haben. Auch der ehemalige Handball-Nationalspieler Martin Strobel unterstreicht diese Bedeutung von Führungsspieler:innen durch die Präsentation von ausgesuchten Spielszenen in seinen Lerntransfer-Beispielen, um zu verdeutlichen, welch wichtige Rolle erfahrene Akteur:innen für noch junge Persönlichkeiten und somit für das gesamte Team spielen – und wie bedeutend es ist, in Ausnahmesituationen auf ein bewährtes Skillset zurückzugreifen.
Das positive Leadership von Alfred Gíslason hat es den Spielern im Spiel gegen Polen zusätzlich erlaubt, trotz der außerordentlich herausfordernden Situation eine gewisse Freiheit und Freude mit auf den Platz zu bringen. Dadurch waren die Spieler in der Lage, sich neugierig und mutig der Situation zu stellen und die Offenheit zu haben, sich über die Situation, über ihr Tun und die Spielentwicklung an ihr Leistungsoptimum herantasten zu können.
Abschließend ist zu resümieren, dass die entstandene Ausnahmesituation vom DHB-Team im absolvierten Spiel herausragend bewältigt wurde. Der Fokus wurde auf das Lösen und nicht auf das Beklagen gelegt, jeder im Team hatte eine entsprechende Einstellung gefunden und durch die oben beschriebene Herangehensweise konnte eine unerwartet gute Performance ´on point´ auf den Platz gebracht werden.
Natürlich ist jede Krisen-, jede Ausnahmesituation ein Fall für sich. Zudem sind Situationen im Business und im persönlichen Alltag natürlich nicht 1:1 mit Situationen im Spitzensport zu vergleichen. Dennoch sind die Parallelen vorhanden und die Chance gegeben, von gemachten Erfahrungen aus dem Hochleistungssport zu lernen und zu profitieren. Die Ausnahmesituation, der die deutsche Nationalmannschaft ausgesetzt war, und vor allem die Reaktion und der Umgang damit, ist zudem wertvoll, um aus dem Geschehenen Rückschlüsse für andere entstehende Ausnahmesituationen ziehen zu können – um, sozusagen, eine Art Blaupause in der Schublade zu haben.